Abgrenzung zwischen Irreführung und zulässiger Werbung bei Umweltangaben

„Recycelt sich selbst“ – eine Formulierung, die dem ökologisch sensibilisierten Verbraucher ein Höchstmaß an Nachhaltigkeit suggeriert. Doch handelt es sich dabei um eine zulässige werbliche Vereinfachung oder um eine unzulässige Irreführung über Umwelteigenschaften eines Produkts?

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der rechtlichen Bewertung einer solchen Werbeaussage auseinanderzusetzen und dabei nicht nur die Grenzen zulässiger Umweltwerbung präzisiert, sondern auch grundsätzliche Maßstäbe für die Anwendung der UGP-Richtlinie und der Verordnung (EU) 1169/2011 gezogen.

Sachverhalt

Die Beklagte vertrieb über verschiedene Einzelhändler unter eigenem Namen eine PET-Einwegpfandflasche für Mineralwasser, die mit dem Slogan „recycelt sich selbst“ beworben wurde. Diese Formulierung befand sich auf dem rückseitigen Etikett und wurde zudem durch entsprechende Produktinformationen und PR-Kommunikation flankiert. Die Klägerin, eine Wettbewerbszentrale, sah darin eine wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung (§ 5 UWG) über die Umwelteigenschaften der Flasche und nahm die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht Frankfurt gab der Klage statt.

Im Berufungsverfahren wendete sich die Beklagte gegen diese Bewertung mit der Begründung, die Aussage sei im Kontext der gesamten Etikettierung sowie unter Berücksichtigung des Verbraucherhorizonts als zulässige werbliche Übertreibung zu verstehen. Das OLG Frankfurt (6 U 33/24) bestätigte hingegen die Entscheidung des Landgerichts mit prägnanter Begründung.

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Juristische Analyse

Maßstab der Irreführung bei Umweltwerbung

Zentraler Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung war § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG, der eine Irreführung über wesentliche Eigenschaften einer Ware – einschließlich deren Umweltvorteilen – untersagt. Das OLG Frankfurt stellt zunächst klar, dass an die objektive Verständlichkeit und Wahrheit von Werbeaussagen gerade im Bereich der Umweltwerbung besonders strenge Maßstäbe anzulegen sind. Dies ergibt sich aus dem besonderen Vertrauen, das umweltbezogene Angaben bei Verbrauchern genießen, sowie aus dem zunehmenden Phänomen des „Greenwashing“.

Die Aussage „recycelt sich selbst“ sei mehrdeutig und suggeriere – entgegen dem tatsächlichen Produktzyklus –, dass die Flasche ohne externen technischen oder logistischen Aufwand einem geschlossenen Wertstoffkreislauf zugeführt werde. Ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher verstehe darunter, dass die Flasche aus sich heraus wieder zur gleichen Flasche werde. Tatsächlich aber bedarf es eines umfangreichen industriellen Prozesses, bei dem die Flasche lediglich als Inputmaterial dient und nicht zwingend zur gleichen Produktform recycelt wird.

Damit liege eine Täuschung über Art und Umfang der Wiederverwertbarkeit vor. Die Tatsache, dass die Flasche recyclingfähig sei, könne diese Aussage nicht legitimieren – vielmehr verschleiere die Formulierung die realen Bedingungen und erwecke einen falschen Eindruck von Kreislaufwirtschaft.

Keine Korrektur durch kontextuelle Aufklärung

Besonders kritisch setzte sich das Gericht mit dem Argument der Beklagten auseinander, wonach der weitere Kontext der Etikettierung – etwa ergänzende Angaben zum Pfand- und Recyclingprozess – eine etwaige Fehlvorstellung ausräume. Das OLG verwarf diesen Einwand mit Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung des BGH zur Blickfangwerbung.

Entscheidend sei, dass der hervorgehobene Slogan selbstständig irreführend sei und etwaige Erläuterungen nur dann eine aufklärende Wirkung entfalten könnten, wenn sie klar zugeordnet, hinreichend verständlich und sofort erfassbar seien. Das sei hier nicht der Fall: Die Rückseite der Flasche, auf der sich der Slogan befindet, enthalte keine unmittelbare Aufklärung, sondern lediglich weitergehende Aussagen, die ebenfalls nicht zur Differenzierung beitrügen. Eine Aufklärung über weitere Kanäle – etwa Internetseiten oder Presseinformationen – sei ungeeignet, eine einmal erzeugte Fehlvorstellung beim Durchschnittsverbraucher zu korrigieren.

Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen Vorgaben

Auch unter Berücksichtigung der UGP-Richtlinie (Richtlinie 2005/29/EG) sowie der Lebensmittelinformationsverordnung (VO (EU) Nr. 1169/2011) hielt das Gericht die Aussage für unzulässig. Zwar sei die konkrete Werbeaussage nicht durch lebensmittelrechtliche Spezialvorschriften geregelt, gleichwohl unterliege sie der allgemeinen verbraucherschutzrechtlichen Prüfung anhand der Irreführungstatbestände.

Die Orientierung am Leitbild des Durchschnittsverbrauchers, wie es durch den EuGH entwickelt wurde, müsse sich dabei an einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein und Transparenz messen lassen, insbesondere wenn Aussagen ökologische oder soziale Wirkungen von Produkten betreffen. Der Versuch, durch emotionalisierende oder verkürzende Slogans ein irreführendes Nachhaltigkeitsimage zu erzeugen, widerspreche diesen Maßstäben.

Kein Raum für eine Bagatellgrenze

Abschließend verneinte das OLG Frankfurt das Vorliegen einer Bagatelle im Sinne des § 3a UWG. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung ökologischer Verantwortung und der ökonomischen Relevanz von Umweltwerbung sei eine strenge Kontrolle erforderlich. Der Markt der Konsumgüter reagiere zunehmend sensibel auf „grüne“ Versprechen; Unternehmen, die sich hier nicht an die Wahrheit hielten, verschafften sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber redlichen Anbietern.

Die Annahme eines nur unerheblichen Verstoßes sei vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, da der Irreführungstatbestand nicht nur die Interessen einzelner Verbraucher, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs insgesamt schütze.

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Schlussfolgerung

Mit seiner Entscheidung setzt das OLG Frankfurt ein deutliches Zeichen gegen eine inflationäre und semantisch entgrenzte Umweltwerbung. Die Aussage „recycelt sich selbst“ mag sprachlich originell erscheinen, verfehlt aber in rechtlicher Hinsicht die erforderliche Klarheit und Wahrheit. Der Beschluss bekräftigt die Notwendigkeit einer verantwortungsvollen Werbepraxis im Spannungsfeld zwischen Konsumentenaufklärung und Marketingfreiheit.

Für Unternehmen ergibt sich daraus die klare Botschaft: Wer mit Umwelteigenschaften wirbt, muss exakt, transparent und technisch nachvollziehbar informieren – suggestive Kurzformeln ohne faktische Substanz sind nicht nur unlauter, sondern gefährden die Glaubwürdigkeit nachhaltigen Wirtschaftens insgesamt.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht)