Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hat in seinem Urteil vom 9. August 2023 (Az.: 1 ORs 4 Ss 7/23) umfassend über die rechtliche Bewertung einer Baum-Besetzung durch Klimaschützer entschieden, die den Baum vor der Fällung schützen wollten, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Entscheidung befasst sich insbesondere mit der Frage, ob und in welchem Umfang eine solche Handlung durch den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB gedeckt sein kann.
Hintergrund der Entscheidung
Der Angeklagte hatte sich zusammen mit anderen Aktivisten auf einem Privatgrundstück in einem Baum aufgehalten, um dessen Fällung im Rahmen von Bauarbeiten zu verhindern. Der Eigentümer des Grundstücks hatte die Fällung der Bäume zur Errichtung eines Hotels geplant. Die Aktivisten argumentierten, dass die Fällung der Bäume zur Verschärfung des Klimawandels beiträgt, und beriefen sich auf den rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB.
Kernaussagen des Urteils
- Notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB:
Das Gericht bestätigte, dass ein menschengerechtes globales Erdklima ein notstandsfähiges Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB ist. Es erkannte an, dass der Schutz des Klimas als Rechtsgut im Interesse der gesamten Menschheit liegt und durch § 34 StGB geschützt wird. Damit bestätigte das Gericht, dass der Klimaschutz grundsätzlich als Notstandslage anerkannt werden kann. - Geeignetheit und Erforderlichkeit der Notstandshandlung:
Das OLG stellte klar, dass eine Notstandshandlung zur Abwehr der Gefahr geeignet und erforderlich sein muss. Eine Handlung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie die Gefahr wirksam abwenden kann und das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt. Das Gericht wies darauf hin, dass eine Maßnahme dann nicht gerechtfertigt ist, wenn sie von vornherein völlig nutzlos erscheint oder nur eine unwesentliche Erhöhung der Rettungschancen bietet. Die Besetzung eines einzelnen Baumes kann, so das Gericht, als geeignete Maßnahme zur unmittelbaren Rettung des Klimas angesehen werden, da sie einen Beitrag zur Verringerung der CO2-Emissionen leistet. - Unangemessenheit der Notstandshandlung:
Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Handlung des Angeklagten nicht angemessen im Sinne von § 34 Satz 2 StGB war. Die Rechtsordnung sieht für die Lösung solcher Konflikte spezielle Regelungen und gerichtliche Verfahren vor, die als abschließende Sonderregelungen anzusehen sind. Das Gericht betonte, dass diese sogenannten „Sperrwirkungen“ rechtlich geordneter Verfahren auch dann greifen, wenn das gerichtliche Verfahren im Einzelfall keine unmittelbare Gefahrenabwehr ermöglicht. Diese Sperrwirkung schließt die Anwendung von § 34 StGB in solchen Fällen aus, da andernfalls die gesetzlichen Regelungen unterlaufen würden. - Abgrenzung zu politischen Zielen und zivilen Ungehorsam:
Das OLG stellte klar, dass § 34 StGB nur solche Handlungen rechtfertigen kann, die unmittelbar zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für das Klima führen. Handlungen, die darauf abzielen, durch politischen Druck oder zivilen Ungehorsam langfristige Klimaschutzmaßnahmen zu erreichen, sind nicht durch § 34 StGB gerechtfertigt. Das Gericht führte aus, dass solche Handlungen auf Fernziele gerichtet sind und nicht geeignet sind, die unmittelbare Gefahr abzuwenden, weshalb sie keine Rechtfertigung durch Notstand beanspruchen können.
Fazit
Die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG stellt klar, dass der Klimaschutz zwar ein anerkanntes notstandsfähiges Rechtsgut ist, jedoch nicht jede Aktion, die im Namen des Klimaschutzes durchgeführt wird, durch den rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB gedeckt sein kann. Besonders hervorzuheben ist, dass Maßnahmen, die auf langfristige politische Veränderungen abzielen, nicht durch den Notstand gerechtfertigt werden können.
Außerdem betont das Gericht die Wichtigkeit der Angemessenheit und verweist auf die bestehenden gesetzlichen Verfahren, die vorrangig zu nutzen sind. Diese Entscheidung setzt klare Grenzen für den Einsatz von Notstand als Verteidigung in Klimaschutzaktionen.
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